„Nicht jeder kann in der Industrie am Band arbeiten“
Präsident des Bayerischen Bezirketags Franz Löffler gibt ein klares Bekenntnis zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung ab.
Straubing, 14.08.2025 - Angelina entgratet Dichtungsringe. Konzentriert und mit der gebotenen Sorgfalt. Die Handgriffe sitzen, schließlich macht sie das schon seit mehreren Monaten. Die junge Frau ist in der Eustachius-Kugler-Werkstatt der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe Niederbayern beschäftigt, ihre Arbeitsgruppe für ein Unternehmen aus dem Bereich Dichtungstechnik tätig. Eine Aufgabe, die sie unter Anleitung von Gruppenleiter Markus Huber gerne macht.
In Politik und Presse kommen immer wieder Stimmen auf, die die Existenz von Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) oder die dortigen Arbeitsbedingungen und die Entlohnung kritisieren. Nicht alle, die über dieses Thema sprechen, seien ausreichend und korrekt informiert, bedauert Harald Auer. Er ist Geschäftsführer der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe Niederbayern und leitete zuvor lange die Straubinger Werkstatt für Menschen mit geistiger und oder psychischer Behinderung. Auer ist sozusagen vom Fach und wollte zusammen mit der WfbM-Verbundleiterin Elke Steubl sein Fachwissen teilen. Deshalb haben er und seine Verbund-Kollegen den Präsidenten des Bayerischen Bezirketags Franz Löffler, den Straubinger Bezirksrat Franz Schreyer und die Leiterin der Bezirkssozialverwaltung des Bezirks Oberpfalz Dr. Marje Mülder zu einem Gespräch eingeladen.
„Inklusion gilt auch für Firmen“
Der Bezirk, erklärt Harald Auer, ist für Einrichtungen der Behindertenhilfe der wichtigste politische Partner. Mit den zuständigen Bezirken – in diesem Fall Mittelfranken, Niederbayern, Oberbayern und Oberpfalz – verhandeln Träger wie die Barmherzige Brüder Behindertenhilfe im Verbund Entgelte und Leistungen. Auf dieser Ebene für Verständnis zu werben, ist für eine gute Assistenz und Begleitung von Menschen mit Behinderung unerlässlich. Mehr als 700 Beschäftigte arbeiten in den Werkstätten der Barmherzigen Brüder Behindertenhilfe gGmbH in ganz Bayern, zumeist direkt in einer Werkstatt, zum Teil aber auch in Außenarbeitsgruppen oder im Berufsbildungsbereich. Auer berichtet stolz von ausgelagerten Arbeitsgruppen als sinnvolle Ergänzung zu WfbMs, von Projekten wie dem Pausenverkauf an einer nahegelegenen Realschule und einem inklusiv betriebenen Bistro sowie von neuen Zertifikatslehrgängen für Menschen mit Behinderung.
Wo das Interesse der Beschäftigten, deren Fähigkeiten sowie die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes übereinstimmen, versuchen die Werkstattleiter mit Unterstützung ihres Teams tätig zu werden. Dieser sei laut Franz Brunner, Leiter der Straubinger WfbM, aber nicht das Ziel eines jeden Beschäftigten – was Werkstattrat Martin Belkofer bestätigt: „Ich bin auf eine Werkstatt angewiesen, weil ich eine Behinderung habe. Draußen ist alles zu hektisch. Ich brauche die Struktur, sonst kann ich in eine Krise stürzen.“
Insbesondere für Menschen mit psychischer Behinderung ist der Druck der freien Wirtschaft eine große Herausforderung. Und nur wenige Arbeitgeber zeigten sich bisher bereit, Menschen mit Behinderung eine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu geben. Inklusion, betont der Geschäftsführer, dürfe nicht nur von Trägern der Behindertenhilfe gefordert werden, das gelte auch für Firmen und die Gesellschaft allgemein.
Herausforderungen durch Menschen im Autismus-Spektrum
Ganz wichtig ist für Elke Steubl dabei der individuelle Blick auf den einzelnen Menschen. Denn „den Behinderten“ gebe es nicht. Jeder Mensch habe seine Stärken und Schwächen, auch unter den Schwächsten der Gesellschaft gebe es noch Abstufungen. So sei es in der Branche bekannt, dass manche Träger bei der Aufnahme von Beschäftigten gerne eine gewisse Leistungsfähigkeit im Fokus haben. Dies widerspreche aber ganz klar dem Ordensauftrag: „Die Barmherzigen Brüder nehmen unter Berücksichtigung der definierten Zugangsvoraussetzungen und gemäß ihres zentralen Wertes „Hospitalität“ (Gastfreundschaft) auch die Schwächsten der Schwachen in ihren Werkstätten auf.“
Aber diese Klientel sei eben nicht immer kompatibel mit den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Das Bild, dass letztlich alle Werkstattbeschäftigten in der Industrie am Band arbeiten können, sei definitiv nicht realistisch, betont die Verbundleiterin. Die Absenkung von Qualitätsstandards komme weder in der Industrie noch bei der Assistenz und Begleitung von Menschen mit Behinderung in Frage. Zumal die Entwicklung hier eindeutig ist: „Unsere Klientel“, klärt Fachdienstleiterin Astrid Hausladen auf, „wird kontinuierlich schwächer. Wir stellen uns vermehrt auf Menschen mit sehr herausforderndem Verhalten und Menschen aus dem Autismus-Spektrum ein.“
„Ohne Werkstätten wird es nicht gehen“
Die Existenz einer WfbM oder deren Finanzierung als Aufgabe der Bezirke in Frage zu stellen widerspräche laut Harald Auer dem Auftrag, den sich die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Bayern (LAG) gegeben hat: „Teilhabe an Bildung und Arbeit sowie an einem gleichberechtigten Leben in der Gemeinschaft für Menschen mit Behinderung“ zu ermöglichen. Dies wiederum basiert auf der UN Behindertenrechtskonvention, die auch von Deutschland bereits 2009 ratifiziert wurde.
Hinter diesem Auftrag steht auch der Präsident des Bayerischen Bezirketags Franz Löffler. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es ohne das Instrument der Werkstätten in Zukunft nicht gehen wird“, betonte er gegenüber den Vertretern der Barmherzige Brüder Behindertenhilfe. Und für die derzeit praktizierte Umverteilung der Ausgleichsabgabe, mit der früher Werkstätten neu gebaut und saniert wurden, stellte er mit den Worten „da gibt es einen Ansatz, das ist fast schon gelöst“ Unterstützung in Aussicht. Zum Abschluss richtete Löffler den Blick jedoch kritisch in die Zukunft: „Mich beschäftigt, wie wir in den nächsten zehn Jahren perspektivisch mit den Kapazitäten in Werkstätten umgehen. Wenn sich Demografie-bedingt die Zahlen verändern, müssen verträgliche Lösungen gefunden werden.“
Die Bezirke stünden zudem vor einer großen finanziellen Herausforderung, „nur gemeinsam können wir die Aufgaben der Zukunft bewältigen“. Wichtig sei diesbezüglich, sich generell über künftige Entwicklungen und erforderliche Veränderungen in den Werkstätten Gedanken zu machen. Löffler bestätigte, dass das Thema Sanierungsstau in Werkstätten auf politischer Ebene bekannt ist. Er lobte aber auch zukunftsweisende Modelle wie ausgelagerte Arbeitsgruppen – am Straubinger Beispiel bei einer Firma aus dem Bereich Dichtungstechnik. Solche Besuche und Eindrücke aus der Praxis, schlussfolgerte er, seien wichtige Impulse, um die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Denn neben all den Randbedingungen, Schwierigkeiten und Herausforderungen dürfe man eines nicht vergessen, dass es „um die Menschen geht“, so Löffler. Inklusion sei ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag für uns alle, egal ob Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Unternehmen oder Privatpersonen.
